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Todd Burley, Rita & Bob Resnick*
Zum Stellenwert des "Experiments" in der Gestalttherapie

Auf der "Gstalt-L" Email-Discussions-Liste findet derzeit eine interessante Diskussion über den Stellenwert des "Experiments" in der Gestalttherapie statt. Auf eine kritische Frage, warum Vertreter des Ausbildungsinstituts GATLA** bei den Konzepten, die sie als grundlegend für die Gestalttherapie betrachten (Feldtheorie, Phänomenologie und Dialog) das "Experiment" nicht erwähnen, antworten die Autoren. Der Text soll an dieser Stelle auch dem deutschsprachigen Publikum präsentiert werden, mit der Einladung, das Forum für Meinungsäußerungen und Diskussionsbeiträge zu nutzen.

"Obwohl wir die wohlüberlegte, sich aus dem Kontext ergebende Anwendung von Experimenten sehr schätzen, sehen wir sie nicht auf derselben grundlegenden Organisationsstufe (oder Wichtigkeit) wie Feldtheorie, Phänomenologie and Dialog. Experimente, obwohl selbstverständlich nützlich, um erfahrungsnahe Daten zu sammeln, können Techniken im Dienste der Awareness sein (wir meinen hier die kennzeichnende Bedeutung von Technik, nicht die abwertende Bedeutung, wie sie in manchen Kreisen gepflegt wird). Awareness ist entscheidend für die Therapie - nicht Experimente. Gewiß sind Experimente eine gültige Möglichkeit, Awareness zu fördern. Die besondere Form, Feinheit und Bedeutung des Experiments ist nur begrenzt durch die Kreativität der KlientIn und der TherapeutIn.

Wir schätzen Experimente, die aus der Interaktion der KlientIn und seiner/ihrer Welt heraus entstehen (manchmal die TherapeutIn einbeziehen) und gewöhnlich schätzen wir keine "konservierten" Experimente, die von der TherapeutIn eingebracht werden und wenig oder garnichts mit der KlientIn zu tun haben.

Als eine Fertigkeit sehen wir "Technik" als den am wenigsten wichtigen Teil der Gestalttherapie an. Viel von der "schlechten" Reputation der Gestalttherapie durch deren Mißbrauch durch einige in den 60er und 70er Jahren hat seine Grundlage in der Täuschung, als seien ein paar Techniken (oft dramatische) die Essenz der Gestalttherapie. Natürlich ist der Prozeß des Kreierens von Experimenten nicht derselbe wie wie das repetitive Anwenden fixierter Techniken. Der Punkt ist, mit wem, wo, wann und wie Experimente kreiert und durchgeführt werden, was eine elegante personbezogene und klinische Interaktion bestimmt, verglichen mit einer Auferlegung eines Experiments ohne Gespür.

In unserer Ausbildung im GATLA ist "Experimentieren" Teil der Haltung und Position von der aus wir lehren und ist Teil des Gefüges ("Grund") unserer gesamten Arbeit sowie Teil der "Figur" in manchem unserer Arbeit. Experimentieren in seiner vitalsten und besten Weise ist feinfühliger, kontextbezogener und tiefgehender als die "verlangten" und mechanischen Experimente (oder andere Techniken) die meist stilisiert und formelhaft angewendet werden im Sinne eines "jede Arbeit sollte ein oder mehrere Experimente enthalten". Es ist dieses introjizierte "Experimente und andere Techniken verwenden", welches Pferd und Wagen verdreht hat und beigetragen hat, daß "Technik" einen schlechten Ruf bekommen hat. Jemand, der die Arbeit einer TherapeutIn mit einer KlientIn beobachtet und dann die Arbeit kritisiert, weil keine Experimente eingesetzt wurden, macht deutlich, daß dieser Mensch noch nicht das Wesentliche der Gestalttherapie verstanden hat und ein "Mittel womit" mit dem "Zweck" verwirrt. Wenn dies geschieht wird das Experiment wichtiger genommen als die Funktion, für die es in erster Linie gedacht war, nämlch Awareness zu fördern. (Dasselbe geschieht, wenn ein Therapeut darauf besteht, die Beziehung zum Klienten zu fokussieren, der Vordergrund des Klienten aber klar und passend woanders ist - womit das dialogisch-beziehungsorientierte Vorgehen ebenfalls zu einem methodischen und grenzverletzenden Dogma gemacht wird).

Wichtig ist, daß auch wenn ein Experiment (oder eine Technik) sehr angemessen und nützlich erscheint, kreative Therapeuten nicht eingeschränkt sind auf diese oder eine andere Modalität. Sowohl Fritz und besonders Lore Perls ermutigten TherapeutInnen, ihren eigenen Weg zu finden, ihren eigenen Stil und ihre eigenen Hintergründe, Interessen und Fertigkeiten zu nutzen - alles innerhalb der Grundlagen der Gestalttherapie - um etwas auf neue Weise zu schaffen. Die Frage ist natürlich nicht, ob Experimente "gut" oder "schlecht" sind. Die Frage ist: wann sind Experimente förderlich für Kontakt und Awareness und wann sind Experimente introjizierte Füller, Dramatik "um anzugeben" und/oder Vermeidung?

Letzten Endes gibt es viele wichtige gestalttherapeutische Stützen und Konzepte, die wir nicht explizit zu den Dreien der Feldtheorie, Phänomenolgie und Dialog hinzunehmen wie z.B. Existentialismus, Selbstregulation, Bewußtheit, Aggression, Figurbildung und -auflösung, Charakterentwicklung, Introjekte, Grenzstörungen etc. um nur ein paar zu nennen. Obwohl all diese (und noch andere) wichtige Teile der Gestalttherapie sind, definieren diese die Gestalttherapie nicht so fundamental wie Feldtheorie, Phänomenologie und Dialog."

©2001 Todd Burley, Rita & Bob Resnick
Übersetzung: Achim Votsmeier-Röhr

* Die Autoren/in sind die Ausbildungsleiter/in des GATLA.

** Das GATLA (Gestalt Associates Training Los Angeles) ist eines der renommiertesten internationalen Ausbildungsinstitute für Gestalttherapie. Es ist aus dem früheren GTILA (Gestalt Therapy Institute of Los Angeles) hervorgegangen und bietet neben den Ausbildungen in den USA auch ein Europäisches Ausbildungsprogramm an. Das nächste Trainings-Programm in Europa findet vom 22. Juli bis 3. August 2001 in Bilbao, Spanien statt - näheres auf der Webseite (weiter unten).

Wer Interesse hat, mehr über die Geschichte und Philosophie von GATLA zu erfahren, kann dies über die aktuelle Ausgabe der elektonischen Zeitschrift "Gestalt!" tun oder sich über die Webseite von GATLA informieren.

 

 
 

 

 

 

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 

 
 
 

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